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Auf die Plätzchen fertig los: Der Zimtkrieg geht in die nächste Runde
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hatte im vergangenen Jahr mehrfach vor den Gefahren von Zimt(sternen) gewarnt. Mit seiner Meinung steht das BfR jedoch in Europa und auch weltweit ziemlich allein da. Vor diesem Hintergrund hat das Zentrum für Ernährungskommunikation und Gesundheitspublizistik (ZEK) aus Köln die Bevölkerung darüber informiert, dass das Gewürz Zimt in normalen Mengen natürlich nicht gefährlich sei. Auch müsse niemand Angst vor Zimtsternen haben, betonten die Experten des ZEK. Darauf reagierte das Bundesinstitut am 19. Dezember 2006 mit einem Schreiben. Mit diesem offenen Brief möchten wir auf die neuerliche Darstellung zu Zimt durch das BfR eingehen, erklären heute Dr. rer. nat. Mathias Schmidt und Medizinpublizist Sven-David Müller-Nothmann vom Zentrum für Ernährungskommunikation und Gesundheitspublizistik (ZEK) in Köln. Mit der Kritik an der aus unserer Sicht völlig überzogenen Warnung vor Zimt stehen wir nicht allein da. Das BfR muss sich in seinen Aussagen an der wissenschaftlichen Datenlage sowohl zu Cumarin als auch zu Zimt messen lassen, und die gibt eine derart strenge Bewertung nicht her. Zu den einzelnen Kritikpunkten erwidern wir:

GRAS-Status von Zimt: Die Aussagen zum GRAS-Status in den USA deuten genau das Problem an, das sich in Deutschland mit einem übertriebenen Sicherheitsdenken entwickelt. Zimt ist in der Tat ein altbekanntes Lebensmittel (Gewürz), und somit liegen breite Erfahrungswerte über viele Jahrzehnte vor. Eine explizite Bewertung des isolierten Risikos von Cumarin durch die FDA erübrigt sich, wenn keinerlei Hinweise auf eine irgendwie geartete Toxizität von Zimt existieren. Der GRAS-Status bewertet somit die Ungefährlichkeit von Zimt, nicht von Cumarin. Im Übrigen ist auch die Andeutung einer oberflächlichen Bewertung durch die FDA nicht mit den Realitäten in Einklang zu bringen. Die FDA hat nicht zu Unrecht den Ruf, an Sicherheitsbewertungen besonders strenge Kriterien anzulegen. Der Cumaringehalt von Cassia-Zimt ist nicht erst seit gestern bekannt (beispielsweise Karig 1975), und somit ist auch die Cumarin-„Belastung“ der Bevölkerung seit jeher gegeben gewesen. Die Debatte um Zimt lenkt zudem von der Tatsache ab, dass Cumarin ein regulärer Bestandteil vieler gängiger Lebensmittel ist. Beispielhaft genannt seien hier Pfefferminze (in großen Mengen als Tee konsumiert), Früchte wie Erdbeeren, Sesamkörner, Grün- und Schwarztee, Sojaprodukte oder Chicoree. Der Logik des BfR folgend müsste somit vor einem nicht geringen Teil unserer Lebensmittel gewarnt werden, weil die kumulative Cumarinzufuhr weder berechen- noch in irgendeiner Form kontrollierbar ist! Offensichtlich ist vielmehr, dass bei den in der Vergangenheit für Cumarin eingeführten Grenzwerten offenbar die Tatsache übersehen wurde, dass eine Einhaltung per se bereits nicht möglich ist, weil die natürlichen Cumaringehalte der Nahrung völlig unterschätzt wurden. Angesichts des Sachverhalts, dass bislang für Lebensmittel mit natürlichem Cumaringehalt noch nie eine Toxizität beobachtet wurde, sollte doch eher die Schlussfolgerung gezogen werden, dass der sichtlich zu niedrig angesetzte Grenzwert nach oben korrigiert werden muss - so wie es nachweislich derzeit auf europäischer Ebene diskutiert wird. Mit einem deutschen Sonderweg wegen „gefühlter“ Risiken gibt sich Deutschland international der Lächerlichkeit preis. Doch zurück zu den Erfahrungswerten mit Zimt: Es ist insbesondere für die Vereinigten Staaten von Amerika eindeutig falsch, wenn der Verzehr von Zimt als „gelegentlich und in kleinen Mengen“ eingestuft wird. Gerade in den USA haben Produkte wie „Cinnamon rolls“ ganzjährig einen hohen Beliebtheitsgrad. Handelsstatistiken weisen für die USA einen höheren Zimt-Verbrauch aus als für Deutschland. Es existieren dort Franchise-Unternehmen wie „Cinnabon“, die sich auf die Herstellung solcher Produkte spezialisiert haben. Allein dieses Unternehmen ist inzwischen auf den meisten internationalen Flughäfen vertreten. Die dort vertriebenen Zimtprodukte enthalten keineswegs nur Spuren von Zimt, sondern im Gegenteil beachtliche Mengen. Es handelt sich dabei in der Regel immer um Cassia-Zimt. Dies hängt weniger mit dem Preis oder der Verfügbarkeit von Ceylon-Zimt zusammen, als vielmehr mit den technologischen Backeigenschaften. Ceylon-Zimt ist kein Ersatz für Cassia-Zimt. Das Argument, dass von einem gelegentlichen Verzehr von Zimt nicht auf die Langzeitanwendung geschlossen werden kann, klingt hilflos. Explizit gewarnt wurde vor dem Verzehr von Zimtsternen in Deutschland, einem saisonalen Gebäck, das kaum eine Langzeitanwendung darstellen dürfte. Diese Fragestellung zielt wohl eher auf die Anwendung von Zimtpräparaten als diätetisch-supportive Maßnahme bei Diabetes mellitus (Typ 2) hin, was in der Tat eine Langzeitanwendung bedeuten würde. Hier aber greift das Argument nicht, weil die wesentlichen Produkte des deutschen Marktes wässrige Zimt-Auszüge mit vernachlässigbarem Cumaringehalt sind. Natürlich gibt es auch andere Produkte mit Zimtpulver, zum Beispiel solche, die über das Internet vertrieben werden. Die Maßnahmen des BfR wirken sich aber nicht auf den unkontrollierbaren Internethandel aus, sondern lediglich auf die gar nicht betroffenen und gut kontrollierten Präparate des Handels. Aber selbst wenn Zimtpräparate mit Cumarin-haltigem Zimtpulver hergestellt würden (was in Europa wegen der bereits bestehenden Grenzwerte eigentlich nicht möglich ist), hat das BfR nicht glaubhaft darlegen können, dass für Zimt ein wie auch immer geartetes Sicherheitsrisiko besteht. Die Warnung vor unbekannten Risiken eines Langzeitverzehrs ist somit nicht Zimt-spezifisch, sondern entspringt dem nicht erfüllbaren Wunsch, alle theoretisch möglichen Risiken bereits im Vorfeld auszuschließen. Es kann aber nicht Aufgabe des BfR sein, bislang unbekannte Risiken herbeizureden! 

Cumarin als Reinstoff versus Cumarin in der pflanzlichen Matrix: Das BfR zitiert die DFG-Kommission mit dem Hinweis, dass toxische Effekte isolierter Reinsubstanzen nicht unbedingt bei Aufnahme dieser Substanz in Lebensmitteln auftreten müssen. Allerdings müsse, wenn keine Daten vorliegen, diese Toxizität der isolierten Substanz in die Sicherheitsbewertung einbezogen werden. Dem ist nicht zu widersprechen, wohl aber der Interpretation des BfR hinsichtlich Cumarin in Zimt. Gerade wegen der breiten Erfahrungswerte und wegen des Vorliegens expliziter toxikologischer Daten zu Zimt (siehe unten) ist hier eben nicht von einem unbekannten Risiko auszugehen. Mit der gleichen Logik müssten auch Kartoffeln verboten werden, weil sie Spuren des giftigen Alkaloides Solanin enthalten können. Das BfR geht davon aus, dass eine mit Zimt zugeführte Cumarinmenge die gleiche Toxizität hervorruft wie die gleiche Menge der Reinsubstanz. Hier muss nun die Frage gestellt werden: Welche Toxizität denn bitte? Alle einschlägigen toxikologischen und toxikokinetischen Arbeiten zu Cumarin gehen nicht nur davon aus, dass Cumarin in Lebensmitteln unbedenklich ist, sondern insbesondere auch, dass die Toxizität von Cumarin Spezies-spezifisch ist, die an der Ratte erhobenen Daten für den Menschen nicht anwendbar sind, und insgesamt die Toxizität von Cumarin am Menschen in Frage zu stellen ist (Cohen 1979; Felter et al. 2006; Lake 1999; Ratanasavanh et al. 1996). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum die Aussagen der neuesten Analysen zu diesem Thema, die offensichtlich auch dem BfR vorlagen, auf völlig konträre Weise verwendet wurden, um daraus ein in diesen Arbeiten eben nicht genanntes Risiko zu konstruieren. Das BfR bezweifelt das Fehlen einer LD50 für Zimt im Bereich von 2-5 g/kg und führt dazu Daten zu toxikologischen Untersuchungen mit reinem Zimtöl an (Keller 1992). Hier werden einmal mehr Äpfel mit Birnen verglichen. Zimtgebäck enthält nicht Zimtöl, sondern Zimt als Pulver, und die wässrigen Extrakte zur diätetisch-supportiven Verwendung bei Diabetes mellitus enthalten auch kein Zimtöl. Doch der Reihe nach: Für die intraperitoneale Anwendung von Extrakt aus Cassia-Zimt an der Maus (reines Zimtpulver kann in solchen Experimenten aus nahe liegenden Gründen nicht eingesetzt werden) wurde eine LD50 von 4,98 g/kg gefunden (Harada and Ozaki 1972). Dieser Wert ist toxikologisch völlig irrelevant und liegt jenseits aller durch Nahrungsmittel erreichbaren Dosen. Die orale LD50 von Zimtöl aus Ceylon-Zimt lag in Ratten bei 4,16 g/kg, die für Cassia-Zimt sogar erst bei 5,2 g/kg KG (von Skramlik 1959). Duke gibt bei Ratten für Cassia-Zimt eine orale LD50 von 2,8 g/kg an (Duke 1977), Opdyke fand am gleichen Tier eine orale LD50 von 2,16 bis 3,14 g/kg (Opdyke 1979). Die vom BfR zitierte Arbeit von Keller et al. stützt sich auf diese Literaturdaten und stellt keine eigene Untersuchung dar. Zweifellos entsprechen diese alten Daten nicht mehr den neuesten Verfahrensvorschriften für toxikologische Untersuchungen, sie geben aber klare Hinweise auf das Fehlen einer toxikologischen Relevanz. Generell darf die Toxizität von reinem ätherischem Öl nicht mit dem der Matrix verglichen werden. Reine Öle sind in Untersuchungen stets relativ toxischer als das jeweilige Pflanzenmaterial.

Weitere Informationen: https://svendavidmueller.de
Autor: Sven-David Müller-Nothmann

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