Die dominierende Institution im Gesundheitssektor der BRD ist die gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Sie zeichnet sich durch eine äußerst heterogene Gliederung aus (ca. 1200 Einzelkassen). Von großer Bedeutung für die Stellung der Kassen im gesundheitspolitischen Netzwerk ist die funktionale Aufwertung der Landes- und Bundesverbände, die bereits in der historischen Entwicklung der GKV zu einem Instrument für die Koordinierung nach innen und die Interessenvertretung nach außen geworden ist. Seit den 70er Jahren ist eine Aufgabenverlagerung auf die Landesverbände zu beobachten, die einen Funktionsverlust für die Krankenkassen auf Ortsebene nach sich zieht.
Besonderer Hervorhebung bedürfen auch die kassenärztlichen Vereinigungen (KV), die im internationalen Vergleich eine einmalige Form der Institutionalisierung ärztlicher Verbandsmacht darstellen. Sie zeichnen sich durch eine explizit ökonomische Zielsetzung aus und bilden die wirtschaftliche Interessenvertretung derjenigen Ärzte, die an der medizinischen Versorgung im Rahmen der GKV teilnehmen. Eine der wichtigsten Aufgaben der KVen stellen die Honorarverhandlungen mit den Krankenkassen dar.
Zentraler Stellenwert kommt dem Institut der "Selbstverwaltung" zu. In der Praxis bedeutet dies, daß selbstverwaltete Körperschaften über eine - durch staatliche Rechtsaufsicht überwachte - Satzungs- und Finanzautonomie verfügen und ihre Leitungsgremien von den Mitgliedern gewählt werden. Dem Selbstverwaltungsprinzip kommt damit der Status eines gesamtgesellschaftlichen Ordnungsmodells zu.
Vielen Beobachtern erscheint als auffälligstes Merkmal des bundesdeutschen Gesundheitssektors die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (KAG), ein Instrument des Informationsaustausches, das einem etablierten Verbands- und Verhandlungssystem vorgelagert wurde. Der bundesdeutsche Gesundheitssektor wird daher auch häufig als korporatistisches Politikfeld eingestuft. Dabei handelt es sich allerdings um eine zumindest unvollständige Charakterisierung, da das vom Sachleistungsprinzip geprägte Verhältnis zwischen Ärzten und Krankenkassen Merkmale einer verbandsgesteuerten Selbstregulierung aufweist, während sich im Krankenhaussektor eine stärker etatistisch ausgeprägte Steuerungsvariante auf regionaler Ebene findet. Die wichtigsten Prozesse der Ressourcenverteilung finden durch die Verbände statt. Die Steuerung durch Verbände, die miteinander in Verhandlungsbeziehungen stehen, ist das zweifelsohne wichtigste Charakteristikum des bundesdeutschen Gesundheitssektors.
Die Akteure
Staat
Auf Bundesebene kommt dem Staat die Aufgabe der Bereitstellung und gegebenenfalls Modifizierung eines ordnungspolitischen Rahmens zu, der den beteiligten Verbänden die für die Ressourcensteuerung notwendigen Austausch-, Verhandlungs- und Koordinationsprozesse ermöglicht. Die staatliche Interventionsfähigkeit ist allerdings relativ begrenzt, da staatliche Eingriffe in das Handlungsfeld der Verbände erst legitim sind, wenn die Gremien der Selbstverwaltung zu keiner befriedigenden Problemlösung gelangen oder überfordert sind.
Verbände der Krankenkassen
Aufgrund ihres unentbehrlichen Sachwissens werden ihnen von staatlicher Seite breite Beratungs- und Konsultationsmöglichkeiten eingeräumt. Seit Beginn der 80er Jahre ist eine wachsende Interessenübereinstimmung zwischen Staat und Kassen bezüglich der Frage der Kosteneindämmung zu verzeichnen. Das wiederum führt unweigerlich zu einer Stärkung des Gewichts der Kassenverbände im gesundheitlichen Entscheidungsprozeß.
Arbeitgeber und Gewerkschaften
Die Konsumenten sind als eigenständiger Akteur im gesundheitspolitischen Netzwerk der BRD nur am Rande beteiligt. Die Gewerkschaften als selektive Interessenvertretung der Versicherten mit Erwerbstätigkeit sind dagegen in vielfältige Konsenszwänge mit der Arbeitgeberseite eingebunden. Noch in den 70er Jahren wurde die Beteiligung der Gewerkschaften in der Selbstverwaltung, die seinerzeit noch für eine staatlich angeleitete Reformpolitik eintraten, unter dem Aspekt ihrer gesundheitspolitischen Neutralisierung interpretiert. Für die 80er Jahre gilt, daß die Arbeitgeber, die ein verständliches Interesse an einer kostensenkenden Stärkung von Marktelementen in der GKV gezeigt haben, ebenso den Beharrungstendenzen unterliegen, die von der Selbstverwaltung ausgehen.
Ärzteorganisationen und -verbände
Hier findet man ein feingliedriges Netz von einer Vielzahl berufspolitischer Organisationen (ca. 400). Auf der öffentlich-rechtlichen Ebene sind da die Kammern und KVen, bei denen es sich um staatlich geschaffene und privilegierte Monopole mit einer hochgradig funktionellen Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen Verbandsorganisationen handelt. Auf dem privaten Sektor verdienen der Marburger Bund mit einem eher gewerkschaftlich geprägten Selbstverständnis und der Hartmannbund, der sich als ideologische Speerspitze der gesamten Profession versteht, ungeteilte Aufmerksamkeit. Die Verbandsspitzen sind durch ein kleines Elitekartell ärztlicher Multifunktionäre miteinander verflochten und haben somit eine relativ gute Kontrolle über Entscheidungsprozesse.
Krankenhäuser
Sie stellen ein eher schwaches Glied im Netzwerk dar. Wenn sie dennoch als unauffällige Machtträger bezeichnet werden, die über gewisse politische Durchsetzungschancen verfügen, dann weil sich hinter ihnen, in Gestalt der Träger, die Kommunen und Spitzenverbände der freien und kirchlichen Wohlfahrtsverbände verbergen. Schließlich sind die Krankenhäuser dennoch sowohl als Verhandlungspartner der KK und anderer Sozialversicherungsträger als auch bei politischer Beteiligung in Planungsgremien oder bei Gesetzesberatungen als ein Konglomerat aus teils divergierenden Interessen, deren Durchsetzungsfähigkeit von fallweise zustandekommendem Konsens, besonders mit den Ländern und Gemeinden, abhängig ist, einzuschätzen.
Pharmazeutische Industrie
Bereits aufgrund der volkswirtschaftlichen Größe der Branche ist anzunehmen, daß dieser Akteur die Gesetze seines Handelns einschließlich der gesetzlichen Rahmenbedingungen zu einem großen Teil selber bestimmen kann. Interessanterweise fällt die institutionelle Einbindung in die Verhandlungs- und Organisationsnetzwerke der bundesdeutschen Gesundheitssektors vergleichsweise gering aus. Daß es der Pharmaindustrie häufig gelang, staatliche Eingriffe abzuwehren, ist schließlich auch darauf zurückzuführen, daß der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie über beachtliche Selbstregulierungskapazitäten verfügt, mit denen sich die Entbehrlichkeit staatlicher Regelungen begründen läßt. Das im Vergleich zu anderen Branchen sehr viel größere Selbstregulierungspotential ist allerdings nicht allein Ergebnis einer straffen Verbandsorganisation, sondern vor allem eine Reaktion auf die ständig drohende Möglichkeit staatlicher Regelungen. |